Es hätte auch der Dirigent des Musikvereins aus Weil im Schönbuch sein können, der mit gebotener Skepsis den Klängen seiner Kapelle lauscht. Dabei war es Markus Babbel, der im schwarzen Anzug und roter Weste, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, mit zweifelnder Miene die Seitenlinie abschritt. Wäre die Niederlage gegen Bremen in Metern zu messen, dann hätte der VfB-Teamchef bis nach Hedelfingen gehen müssen - oder weiter.
Denn es war eine dieser Niederlagen, die mehr hinterließ als ein 0:2 auf der Videotafel und den Ärger über drei vergebene Punkte. Die 40.000 Enttäuschten trotteten mit dem beschwerlichen Eindruck aus der Mercedes-Benz-Arena, dass der VfB Stuttgart wieder eingeholt wird von seiner alten Krankheit, wonach auf kurze Phasen des Hochs das Tief so unweigerlich folgt wie der Regen auf die Sonne.
Und wer die Helden bei ihrer Arbeit sah, der dachte an furchtbar schlechte Kopien von Cacau, Khedira, Delpierre, Hilbert oder Hitzlsperger. Was muss passieren, dass eine Mannschaft, die noch im Mai dieses Jahres um den Titel mitspielen konnte, auftritt wie ein Haufen mutloser Delinquenten beim Gang aufs Schafott?
Die Antwort hat viele Facetten. Eine davon ist, dass der VfB Stuttgart den alten Fehler machte, den Erfolg als das eigentliche Ziel seiner Arbeit nicht über alles zu stellen. Sie nahmen Rücksicht auf die Gefühlslage der Fans, die Markus Babbel verehrten. Sie waren dem Teamchef dankbar für eine Aufholjagd, die dem VfB in die Champions Leaguie führte und sie gaben nach gegenüber dem DFB, der einen Trainer ohne gültige Lizenz nicht länger dulden wollte. Jetzt ist das Projekt des doppelten Babbel gescheitert.
Der Novize und seine Helfer machten zuletzt schlicht zu viele Fehler, als dass der Verein die Doppelbelastung - hier die Arbeit mit der Mannschaft, dort die Trainerausbildung in Köln - noch länger hinnehmen könnte.
Man braucht weder den Trainerschein noch hellseherische Gaben, um die Auflösungserscheinungen zu erkennen, die sich gegen Bremen ins Spiel der Roten schlichen. Einfache Bälle, die beim Gegner landeten, haarsträubende Missverständnisse sogar bei Eckbällen und Freistößen, reihenweise Spieler, die Kopf und Schultern hängen lassen, und ein Auftritt, der nicht die Spur einer Handschrift von Babbel erkennen ließ.
Es scheint, als habe den Teamchef Frische, Instinkt und Geradlinigkeit verlassen, die ihn vergangene Saison noch so wohltuend und erfolgreich abhoben von den in Norm gepressten Kollegen der Liga.
Als hätten sie ihm in Köln der Gehirnwäsche unterzogen, flüchtet er sich neuerdings in vorgestanzte Formulierungen, reagiert mit der branchenüblichen Gereiztheit auf Fragen und führt die Mannschaft nicht mehr nach den klaren Kriterien und mit der Kompromisslosigkeit, die seine Spieler nach der Veh-Ära so sehr an ihm schätzten.
Hat er nun Vertrauen in Cacau oder nicht? Glaubt er an die Klasse von Pawel Progrebjnak oder nicht? Zählt in erster Linie die Leistung (im Fall Thomas Hitzlsperger) oder sind Hierarchie (Kapitänsbinde) und frühere Klasseleistungen (Roberto Hilbert) im Zweifelsfall schwerer zu gewichten?
Warum kann sich Jens Lehmann ungestraft so destruktiv aufführen wie ein pubertierender Halbstarker? Warum wird das Talent Sebastian Rudy erst in den Himmel gelobt und dann zu den Amateuren abgeschoben? Warum kauft der VfB für acht Millionen Euro Zdravko Kuzmanovic ("ich bin kein Mitläufer, ich will spielen"), wenn er ihn auf der Bank versauern lässt?
Und bleibt der agile Elson ewig der Notnagel, der immer nur dann spielt, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist? Und nicht zuletzt: Warum lässt Babbel unbeirrt statt der Raute die flache Vier im Mittelfeld spielen, wofür er zwei starke Flügelspieler braucht, die er zurzeit aber nicht hat?
All diese Probleme wurde im Grunde ohne Not geboren und verlangen nun nach überzeugenden Antworten, die der Teamchef in dieser Saison bisher nicht liefern konnte. Das spüren die Fans, die Kritiker und zu allererst die Spieler selbst.
Horst Heldt wollte nach der Niederlage gegen Bremen "in Ruhe nachdenken, was zu tun ist". Der Manager wird sich sputen müssen, um dem Topf wieder einen Deckel zu verpassen. Babbels Bonus ist aufgezehrt, und auch an der Arbeit des Managers mehren sich die Zweifel.
Der Chef muss wieder auf den Platz. Und so muss es bleiben. Denn nur dort ist es im Fußball wirklich wichtig.
Quelle: stuttgarter-nachrichten.de
Mittwoch, 7. Oktober 2009
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