Markus Babbel träumte vom Titel, schaffte die Champions League - jetzt kämpft er gegen den Abstieg. In seiner kurzen Karriere hat Stuttgarts Teamchef schon alle Facetten des Jobs durch, nur eine nicht: die Entlassung. Aber die steht womöglich kurz bevor.
Der Cannstatter Wasen, das Stuttgarter Volksfest, ist seit 14 Tagen vorbei. Für Markus Babbel ist es allerdings so, als hätte man die Achterbahn noch stehen lassen. Damit kurvt er jetzt durch die Saison - und ist nach dem 0:1 in Hannover ganz unten angekommen.
Der Teamchef des VfB Stuttgart hat innerhalb weniger Monate im Schnelldurchlauf serviert bekommen, was ein Trainerleben alles so ausmacht. Titeltraum, Champions League, Abstiegskampf - fehlt nur noch der Rausschmiss, um den Erfahrungsschatz komplett zu machen. Aber auch der ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Die Geschichte des VfB Stuttgart in dieser Spielzeit ist eine, die man in den Seminaren lehren sollte, die Babbel so eifrig in den vergangenen Wochen besucht hat, um seinen Trainerschein zu machen. Lehrmeister ist die Ligapraxis.
Punkt eins auf dem Stundenplan: Der Wechsel-Unsinn. Der VfB Stuttgart und Mario Gomez, das war immer wie das ZDF und Thomas Gottschalk, oder wie neuerdings angeblich Westerwelle und Seehofer - eine großartige Freundschaft, Duzkumpel, von dem der eine weiß, was der andere tut. So hätte das wahrscheinlich noch Jahre gehen können. Aber das verbietet ein vermeintlicher Automatismus in der Liga, nach dem ein Spieler irgendwann glauben gemacht wird, dass man woanders immer noch mehr erreichen kann. Noch mehr Geld kassiert. Und noch berühmter wird. Gomez hat für diesen Glauben alles aufgegeben, seine Selbstsicherheit, die vertrauten Laufwege seiner Mitspieler, die Geborgenheit im Heimatverein. Wo er doch aus der Nationalelf wissen müsste, wie schwer es ist, auf ungewohntem Terrain gewohnte Leistung zu bringen.
Mario Gomez und der VfB - das ist ein Schulbeispiel, dass so etwas vermeintlich Altmodisches wie Vereinstreue auch 2009 manchmal das beste Rezept sein könnte. Dass sich viele Top-Teams innerhalb von zwei Jahren mittlerweile komplett auswechseln und Kontinuität in ihrer Erwerbsbiografie für viele Profis überhaupt kein Thema mehr ist, ist normal geworden. Zuweilen fällt das allen Beteiligten aber auch mal auf die Füße, im Fall Gomez hat keine Seite profitiert: Der Stürmer wird langsam zum Bayern-Wichniarek, und der VfB hat keinen Tormacher mehr. Dass der FC Bayern 30 Millionen Euro, Stand Herbst 2009, in den Sand gesetzt hat, ist noch das Verschmerzenswerte an der ganzen Angelegenheit.
Punkt zwei: Der Torwart sollte Rückhalt einer Mannschaft sein. Alle Mannschaftsteile des VfB sind zurzeit Baustellen. Der eingekaufte Gomez-Ersatz Pawel Pogrebnijak, einst Torjäger bei Zenit St. Petersburg, findet wenig Bindung (siehe Punkt eins). Heimkehrer Aleksandar Hleb kann die Rolle des Hoffnungsträgers nicht ausfüllen - und plötzlich fällt den Ersten ein, dass er auch beim FC Barcelona über die Rolle des Reservisten nie hinauskam (vergleiche ebenfalls Punkt eins).
In der Abwehr haben Verletzungen und Umstellungen das bewährte Personal verunsichert. Dahinter steht ein Tormann, der schon in der Vorsaison ein Sicherheitsrisiko war - was die zuverlässigen Vorderleute Delpierre und Tasci aber noch auffingen. Jens Lehmann heißt dieser Torwart, und heute muss man sagen, dass dieser ein Karriere-Ende in Würde verpasst hat. Eine große Karriere, wie sie nur wenige aktuelle Bundesliga-Spieler vorweisen können. Aber Vergangenheit. Jetzt kann der Mann, dessen Persönlichkeit gegen Selbstkritik immun ist, dem Verein nur schaden und kaum noch nutzen. Einer, der sich für unfehlbar hält und selbst immer wieder Fehler macht, ist für ein Team - das weiß jeder mittelmäßig begabte Personalberater - Gift. Herr Babbel, schreiben Sie mit!
Punkt drei auf dem Stundenplan: Der Fluch des Erfolgs. Der VfB wird von seinem Erfolg aus der Vorsaison heimgesucht. Die Champions League, dieses Goldene Kalb, dem alle ambitionierten Clubs hinterher laufen, wird für die Mannschaft zum Depressivum. Wieder einmal. Genau wie 2007, als der Meister Stuttgart in der europäischen Eliteklasse eine Pleite nach der anderen kassierte und sich diese Negativerlebnisse wie Mehltau auf die Leistungen in der Liga legte.
Die Champions League tut keinem der deutschen Clubs zurzeit gut: Auch Wolfsburg und der FC Bayern ziehen aus den europäischen Auftritten keine Motivation, aber für einen Verein wie den VfB, der sich, ohne recht zu wissen, wie ihm geschieht, in den Hartz-IV-Regionen der Ligatabelle wiederfindet, wird so etwas dramatisch.
Dies alles sind Umstände, die man dem jungen Teamchef kaum zum Vorwurf machen kann. Die Krise hat Babbel kalt erwischt, sie kam zunächst schleichend, plötzlich ist sie überlebensgroß da. Was man Babbel aber schon anlasten muss: Er erweckt überhaupt nicht den Eindruck, als könne er die Stimmung wenden. Babbel hat am Donnerstag eine siebzehnminütige Rede gehalten, die Boulevardpresse hat offenbar mitgestoppt. Es war eine von diesen Ansprachen, die gerne als Brand- oder Wutrede tituliert werden - und was folgte war ein 0:1 in Hannover. Wenn Brandreden nichts mehr bringen, dann ist Feuer unterm Dach. Jeder weiß, wie das ausgeht.
Was üblicherweise folgt, heißt auf dem Stundenplan: die Rolle des Feuerwehrmannes am Beispiel des Trainerwechsels im modernen Fußball.
Bundesliga-Kommentar von Peter Ahrens (spiegel.de)
Sonntag, 25. Oktober 2009
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