Montag, 23. November 2009

Sie wissen nicht, was sie tun sollen


Manchmal spürt Jens Lehmann schon mittwochs, was am Samstag passiert. So wie in der vergangenen Woche, als es ihm im Training viel zu lieb und zu nett und zu freundlich zugegangen ist. Da platzte dem Torwart der Kragen. Mit zehn Metern Anlauf rannte er Ludovic Magnin so gezielt und vehement um, dass der Verteidiger zwei Minuten behandelt werden musste. Damit wollte Lehmann einen Weckruf starten, aber bei seinen Kollegen klingelte es nicht. Der VfB Stuttgart präsentierte sich beim 1:1 gegen Hertha BSC wie in diesem Trainingsspiel - bisweilen zwar hübsch anzuschauen, aber wirkungslos und schläfrig. So tritt normalerweise keine Elf im Abstiegskampf auf.

Insofern war die Partie gegen den Tabellenletzten aber wiederum auch nur ein Spiegelbild der Saison. Am Anfang fehlte trotz aller Überlegenheit die Leidenschaft und später stellte sich Verunsicherung ein. "Die Spieler kommen mit der Situation scheinbar nicht zurecht", sagt Markus Babbel. Diese Kritik fällt jedoch auch auf den Teamchef selbst zurück, weil er es offensichtlich nicht schafft, der Mannschaft den Ernst der Lage zu verdeutlichen und das richtige Bewusstsein zu vermitteln.

Das weiß Horst Heldt, der hinterher erklären soll, inwieweit die Trainerdiskussion beim VfB durch die Leistung gegen Hertha BSC neu entfacht worden ist. Der Manager antwortet zunächst, dass er bei diesem Thema gegen externe Strömungen machtlos sei. Ob es jetzt eine interne Debatte gebe, wird nachgehakt. "Ich denke nicht", erwidert Heldt. So unverbindlich äußert er sich, da auch in den eigenen Reihen die Debatte um Babbel läuft. Am Samstag wurde sie fortgesetzt, aber sie endete wieder mit dem Ergebnis, das in Anlehnung an den Titel eines Filmklassikers so lautet: Denn sie wissen nicht, was sie tun sollen. Obwohl sich die Lage weiter zuspitzt, tun sie beim VfB im Zweifel nichts. Ratlosigkeit herrscht.

Das Klima wird frostiger

Womöglich hat die Vereinsführung auch das Gefühl, dass sie den richtigen Zeitpunkt bereits verpasst hat, um in der Trainerfrage tätig zu werden. Nach dem Pokalaus Ende Oktober bei dem Zweitligisten SpVgg Greuther Fürth hatte jedenfalls sogar Babbel selbst seine Entlassung nicht ausgeschlossen. Doch der Vorstand verständigte sich darauf, zumindest bis zur Winterpause mit ihm weiterzumachen. Dieses Zeichen verfehlte aber genauso seine Wirkung wie die Attacke von Lehmann im Training.

Belegte der VfB im Oktober in der Liga noch den 14. Platz, so rutschte er inzwischen auf Rang 16 ab. "Es ist klar, dass das Klima dadurch frostiger wird", sagt Babbel. Vor der Winterpause stehen noch vier Begegnungen in der Bundesliga und zwei in der Champions League an. Aber wenn die Saison jetzt vorbei wäre, müsste die Mannschaft in zwei Relegationsspielen gegen den Dritten der zweiten Liga um den Klassenverbleib kämpfen. "Ich glaube nicht, dass Horst Heldt von mir abrückt - und das muss er auch nicht", sagt Babbel dennoch.

Den Spielern mangelt es an Disziplin

In der Tat ist die Entscheidung für den Vorstand schwierig. Zum einen sind kaum Trainer auf dem Markt, die den VfB überzeugen. Die Schweizer Marcel Koller und Christian Gross wären eventuell am ehesten eine Option, während ein Star wie Guus Hiddink kaum nach Stuttgart zu locken ist. Andererseits zögert der VfB mit Konsequenzen, weil der Club im Sommer um Babbel gekämpft und wegen dessen fehlender Lizenz sogar ein Zerwürfnis mit dem Deutschen Fußball-Bund riskiert hatte. Da wäre es nicht leicht vermittelbar, wenn man sich wenige Monate danach von dem Teamchef trennt. Deshalb hätte wohl auch eine Niederlage am Dienstag bei den Glasgow Rangers noch keine Auswirkungen für Babbel.

Aber die Gefahr besteht, dass die Fehlentwicklungen noch zunehmen und auch durch einen demnächst vielleicht doch notwendigen Trainerwechsel nicht schnell zu beheben sind. Disziplin wird im Kader jedenfalls nicht gepflegt, was sich daran zeigt, dass Spieler immer wieder zu spät zu einem Treffpunkt erscheinen. Oder dass sie verbotenerweise im Mannschaftsbus telefonieren. Oder dass sie die Kleiderordnung ignorieren. Das hinterlässt Spuren im Verhältnis zu Babbel. "Wenn ich die erste Halbzeit gegen Hertha BSC betrachte, sehe ich keinen Grund, warum ich die Mannschaft nicht mehr erreichen soll", sagt der Teamchef. Der Blick auf die Tabelle führt jedoch zu einem ganz anderen Ergebnis.

Quelle: stuttgarter-zeitung.de

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