Sonntag, 20. September 2009

Stuttgart in der Krise: Zu nett für die Spitze


Der Fehlstart ist perfekt: Stuttgart kassierte eine Heimniederlage gegen Köln - den bisherigen Tabellenletzten. Dabei saßen teure Top-Spieler der Schwaben nur auf der Tribüne. Teamchef Markus Babbel nennt seine Truppe "zurückhaltend und freundlich", muss nun aber schleunigst eine Mannschaft formen.

Den Anspruch des VfB Stuttgart hatte Markus Babbel klar formuliert: "Wir wollen nicht nur dieses Jahr in der Champions League dabei sein, sondern auf Jahre hinaus." Verständlich: Gerade vollzieht sich ein Umbau des Liga-Establishments. Wer jetzt den Zug verpasst, könnte länger abgehängt sein. Indes: Was der VfB am Samstag beim 0:2 gegen den vormaligen Tabellenletzten 1. FC Köln abgeliefert hat, wird diesem Anspruch nun überhaupt nicht gerecht. Torhüter Jens Lehmann ist selbstverständlich immer für eine Kapriole gut, aber selbst für seine Verhältnisse war es starker Tobak, wie er den Kölnern den zweiten Treffer schenkte. Da eilte er vierzig Meter ins Feld, nur um den Ball an Ishiaku zu verdaddeln, worauf Sanou ins leere Tor schießen konnte. Vor Sebastian Freis' Treffer zum 0:1 hatte Verteidiger Christian Träsch den Ball an der Außenlinie weggeschenkt.

Die bisherige Saisonbilanz ist ernüchternd: Fünf Punkte, erst ein Sieg, Platz 14 und dazu beim 1:1 gegen Glasgow Rangers zum Champions-League-Auftakt einen wichtigen Sieg verschenkt. Was nun? "Kritik einstecken, Kritik verarbeiten, Ärmel hochkrempeln, sich selber herausziehen", sagt Babbel. Was man halt so sagt. Babbel, 37, erlebt gerade die erste problematische Phase seines Berufslebens an der Seitenlinie, seit er in der Nachfolge Armin Vehs im vergangenen November vom unlizenzierten Assistenten zum Teamchef des VfB Stuttgart befördert worden war. Bisher war es nur aufwärts gegangen: Babbel spielte mit dem VfB um den Titel und landete am Ende auf Platz 3 und in der Champions League.

Was ist der Unterschied zur Vorsaison? Primär sicher das Fehlen des wichtigsten Spielers, des vormaligen Leaders und Toregaranten Mario Gomez.

Neue Spieler - neue Ansprüche

Dafür kamen Pavel Pogrebnjak, Stefano Celozzi, Zdravko Kuzmanovic und Rückkehrer Aliaksandr Hleb. Der ehemalige Arsenal- und Barcelona-Profi steht für den neuen Anspruch und wird von den Anhängern mit den höchsten Erwartungen konfrontiert.

Dass die Integration neuer Spieler ihre Zeit braucht, ist nicht ungewöhnlich. Aber die teambildende Erfahrung der vergangenen Rückrunde war, dass man als Gruppe mit hierarchieflachem, altruistischen Fußball Erfolg hatte. Doch nun sortiert sich eine neue Gruppe, in der man sich beobachtet. In der mancher eigene Ängste bekämpfen muss. In der die Versuchung groß ist, das Neue und die Neuen als Wende zum Schlechteren zu deuten und verantwortlich zu machen. Offenbar beschäftigt einige Profis auch das Gehalt von Hleb. Laut "Stuttgarter Zeitung" liegt es bei knapp sieben Millionen Euro. Da kann man als Mitspieler schon nachdenklich werden. Beobachter vor Ort fühlen sich bereits an den Herbst 2007 erinnert, als der amtierende Meister VfB seine Neuzugänge (Bastürk, Ewerthon, Schäfer) nicht in zusätzliche Qualität umwandeln konnte und am Ende - nur oder immerhin - im damaligen Uefa Cup landete.

Ende der Rotation, Hleb auf der Tribüne

Um diesmal die Neuen und Alten zusammen zu kriegen hatte Babbel zu Saisonbeginn die Rotation eingeführt. Es sollte vertrauensbildend sein und signalisieren, dass alle wichtig sind. Das Ergebnis war offenbar zusätzliche Irritation, so dass der Trainer vor dem Köln-Spiel die Sache offiziell wieder beendete. Und gleichzeitig Superstar Hleb sowie Kapitän Thomas Hitzlsperger auf die Tribüne schickte. Hleb, weil er, wie Sportdirektor Horst Heldt sagte, "nicht richtig fit" sei, Hitzlsperger dagegen habe man "einfach eine Pause gegeben".

In den letzten zehn Tagen war das Arbeitsklima deutlich rauher geworden. Babbel hatte kritisiert, dass einige Spieler, auch wegen der WM, auf sich konzentriert seien und gefordert: "Wir müssen wieder als Mannschaft auftreten." Zudem sagte er, dass einige seiner Profis "bodenständig, nett, zurückhaltend und freundlich" seien. Was er toll findet, "allerdings in erster Linie außerhalb des Platzes". Offenbar meint er damit gerade auch den bodenständigen und netten Nationalspieler Hitzlsperger.

Nun sollte man allerdings den populistischen Dauerbrenner nicht überstrapazieren, nach dem angeblich "Typen" im heutigen Fußball fehlen. Die beiden besten Fußballer der Welt sind derzeit Andrés Iniesta und Lionel Messi, also zwei kreuzbrave Jungs. Und schließlich ist es gerade der fleißige, willige Spielertypus Hitzlsperger, Simon Rolfes, Philipp Lahm, der den modernen, erfolgreichen Kollektivfußball möglich macht.

Ideenlosigkeit und Doppelbelastung

Aber so kommt halt eins zum anderen: Das neue Team ist nicht eingespielt. Statt Begeisterung herrscht Skepsis. Wichtige Spieler sind nicht in Bestform. Zwar spielt Stürmer Pogrebnjak als einziger Neuzugang ordentlich, aber er kann und soll ja Gomez nicht allein ersetzen. Dann kommen die berühmten "individuellen Fehler", vergangene Woche in Hamburg und nun auch gegen Köln. "Individuelle Fehler" sagt man auch gern, um das Problem in die Sphäre jenseits der Kalkulierbarkeit zu verweisen.

Die Realität, sagt Sportdirektor Heldt, sei "Ideenlosigkeit und kein Konzept gegen eine massiv verteidigende Mannschaft". Mit "Mannschaft" ist der 1. FC Köln gemeint, der glücklich sein kann, mit dem ersten Sieg bis auf weiteres von einer vermutlich sehr schweren Saison abzulenken. Unklar ist, ob sich Heldts Kritik an die eigene Mannschaft richtet oder auch an den Trainer. Der muss zu allem anderen derzeit auch noch den Trainerschein machen. Das ist eine Doppelbelastung, die schon öfter zu Problemen geführt hat.

Was kann Babbel tun, um den Kollektivfußball der Vorsaison wiederzubeleben? Platt und gleichzeitig fußballphilosophisch gesagt: Um zusammen zu gewinnen, muss man zusammen gewinnen.

Und wie immer eilt es.

Quelle: spiegel.de

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