Samstag, 12. Dezember 2009

Lehmann ist die Zukunft seines Vereins nicht besonders wichtig


Der Brief erreichte Jens Lehmann ordnungsgemäß per Einschreiben und er enthielt sehr unerfreuliche Neuigkeiten. Schriftlich teilte der VfB Stuttgart dem Torhüter mit, dass der sich eine schwere Verfehlung geleistet habe und daher eine Strafe bekomme. Eine offizielle Abmahnung sprach man aus, verbunden mit einer Geldstrafe in Höhe von 40.000 Euro. Das ist die Konsequenz aus Lehmanns jüngsten Einlassungen, die der VfB-Präsident Erwin Staudt als "extrem vereinsschädigend" bezeichnete.

In einem Fernsehinterview hatte Lehmann vor dem Champions-League-Spiel am Mittwoch gegen Urziceni (3:1) schwere Vorwürfe gegenüber der Clubführung erhoben. Sie habe, sagte der Torhüter, mit der Entlassung des Teamchefs Markus Babbel auf den Druck der Fans reagiert und sei angesichts der Randale nach dem Bochum-Spiel eingeknickt: "Wenn man die Stärke und auch die Qualität hat, Entscheidungen zu treffen, die dem öffentlichen Verlangen ein bisschen widersprechen, dann fährt man auf die Dauer besser. Aber das kriegen die Vereine halt nicht hin."

Ebenso heftig hatte anschließend der VfB-Manager Horst Heldt ("Seine Aussagen zeugen von purem Egoismus") verbal zurückgeschlagen, Lehmann die Führungsqualitäten außerhalb des Platzes abgesprochen und Konsequenzen angekündigt. Dem Clubchef Staudt, der "aus gegebenem Anlass" zur obligatorischen Pressekonferenz vor dem Bundesligaspiel am Samstag in Mainz geeilt war, überließ es Heldt dann, die Bestrafung öffentlich zu verkünden.

Lehmann ist die Zukunft seines Vereins nicht besonders wichtig

"Das ist ein Fall, den wir nicht tolerieren können", sagte Staudt. Zwar könne jeder beim VfB seine Meinung äußern, auch wenn diese unbequem sei - "allerdings nur intern und gegenüber den Leuten, die an der Situation etwas ändern können". Ähnlich reagierte vor wenigen Wochen der FC Bayern, nachdem Philipp Lahm in einem Zeitungsinterview die Vereinsführung attackiert hatte. Auch der Nationalverteidiger bekam eine Geldstrafe und wurde von den Verantwortlichen heftig gemaßregelt.

Der Unterschied zwischen Lahm und Lehmann ist: bei dem Torhüter ist es nicht das erste Mal, dass er auffällig wird. Wie ein roter Faden ziehen sich Sticheleien und Verfehlungen durch seine anderthalb Jahre beim VfB. Im vergangenen Winter warf er dem damaligen Trainerteam nach dem 1:5 im DFB-Pokal gegen die Bayern eine falsche Vorbereitung vor und bekam eine Geldstrafe; im Sommer unterstellte er der Vereinsführung auf der Mitgliederversammlung fehlenden Mut und Einsatz auf dem Transfermarkt; und am Tag nach der Heimniederlage gegen den 1.FC Köln feierte er keck auf dem Oktoberfest. Damals wurde er sogar für ein Spiel suspendiert.

In keinem der Fälle zeigte Lehmann Einsicht - und so auch diesmal nicht: „Ich akzeptiere die Geldstrafe nicht. Den Grund dafür habe ich dem Vorstand dargelegt“, sagte er der „Bild“ in ihrer Samstagsausgabe. Er habe nur die Wahrheit gesagt und sehe keinen Grund für eine Bestrafung, sagte der Torhüter zunächst. Nun will er sich mit weiteren Aussagen zurückhalten. Für den VfB wird der Schlussmann aber immer unkontrollierbarer - ein Verantwortungsgefühl für die derzeitige Lage ist dem 40-Jährigen offenbar fremd. Offen spricht Lehmann davon, dass er keine Lust habe, um den Klassenverbleib zu kämpfen. "Sie können sich vorstellen", erklärte er einem TV-Reporter, "dass ich in meiner letzten Saison für den Abstiegskampf keine Motivation verspüre." Ihn nerve "dieser ganze Mist". Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass einem die Zukunft seines Vereins nicht besonders viel wert ist.

Auf den Torwart kann man aber auch nicht verzichten

Das Problem des VfB ist: die sportliche Not ist zu groß, als dass die Mannschaft auf Lehmann verzichten könnte. "Seine Erfahrung ist extrem gefragt", sagt Christian Gross. Ein 20-minütiges Gespräch hat der neue Trainer mit Lehmann geführt und den Eindruck gewonnen, "dass er sich der Lage bewusst ist". Denn auch der Torhüter wisse, "dass man nun einmal nicht nur in der Champions League spielen kann".

Spiele in der Königsklasse sieht Lehmann als sein Niveau an, hier kann er sich motivieren - und so war er gegen Urziceni derart aufgeregt, dass er während des Spiels pinkeln musste. Hinter seinem Tor verrichtete er sein Geschäft an der Werbebande. Immerhin: trotz unangemeldeten Verlassens des Spielfeldes muss Jens Lehmann dafür keine Strafe fürchten.

Quelle: stuttgarter-zeitung.de

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