Montag, 14. Februar 2011

Debakel gegen Nürnberg: Signale eines Untergangs

Manchmal muss der Mensch nur warten können. Zwei Stunden, nachdem der 1. FC Nürnberg den VfB Stuttgart beim 4:1 so eindrucksvoll auseinandergenommen hatte, dass 38.000 Menschen in einer Art von Trauermarsch aus dem Stadion schlichen, war endlich klar, warum: Der Club ist die fränkische Antwort auf den FC Barcelona. Und der Bursche, der den Grobmotorikern in der VfB-Abwehr Knoten in die Beine spielte, war nicht Julian Schieber. Es war der Messi aus Backnang, den der VfB großzügig als Leihgabe zum Üben nach Nürnberg geschickt hatte. Gewogen in Cannstatt - und für zu leicht befunden.
"Es ist eben so", sagte VfB-Trainer Bruno Labbadia und fixierte mit seinem Blick die Neonleuchten an der Decke, "dass die Nürnberger sehr unbequem zu spielen sind." Dann erzählte er so friedfertig wie Ghandi von den Flüchtigkeitsfehlern einer verunsicherten Mannschaft, der er nur den einzigen Vorwurf machen wollte: "Dass sie nach dem 1:3 die Köpfe hängen ließ." In Wahrheit aber ließen sie sich von einer durchschnittlichen Bundesliga-Truppe derart vorführen, dass man zu Zeiten von Christian Gross oder Jens Keller zwangsläufig die Frage nach dem Coach aufgeworfen hätte.

Wo ist die Führungspersönlichkeit?

 Man muss den Trainer allerdings verstehen. Wie sonst sollte der Mann auf die Signale des Untergangs reagieren? Es gibt eben Blamagen, die man lieber nicht in aller Öffentlichkeit erklärt. Und es gibt Spieler, die sich beim geringsten Luftzug von Kritik eine tiefgreifende Störung ihrer Gemütslage holen. Das alles passt leider so gar nicht zu der Vorstellung, die der Mensch davon hat, wenn sich seine Artgenossen gegen das Unvermeidliche stemmen sollen. Die Geschichte lehrt uns aber: Für große Schlachten braucht es große Lenker. Und die sind beim VfB seltener als Krokodile im Bärensee.

Besonders zu würdigen wäre in diesem Zusammenhang der acht Millionen Euro teure Zdravko Kuzmanovic, Erfinder der Fußball-Pantomine. Einer von denen, die immer da, aber nie wirklich vorhanden sind. Oder Cristian Molinaro, für kurze Zeit Fußball-Nationalspieler in Italien, jetzt eine Art von Zazenhauser Pfadfinder beim Orientierungslauf. Oder auch Matthieu Delpierre, seit neuestem ausgestattet mit der Sprungkraft eines Flugzeugträgers. Und Serdar Tasci? Im Duell mit Schieber so beweglich wie die Kassenhäuschen vor dem Stadion, ausgepfiffen von den eigenen Fans.

Mag ja sein, dass sich Elson die Woche über im Training hervortat, gegen den 1. FC Nürnberg jedenfalls musste er sich beim Platzwart bedanken, der das Gras kurz gehalten hatte; es hätte ihn sonst keiner entdeckt. Cacau bekam als Zeichen der von ihm eingeforderten Wertschätzung gegen Ende der vergangenen Saison noch eine üppige Gehaltserhöhung - auf über drei Millionen Euro. Das lähmt ihm nun die Beine. Die Note, die er sich für seine Darbietung gegen Nürnberg verdiente, gibt es nicht. Die Doppel-Sechs ist noch nicht erfunden.

Man vermisst einen Balakov, Hleb oder Soldo

Wie sehr sehnt man sich in diesem ebenmäßigen Umfeld von Durchschnitt, Hasenfüßig- und Konturlosigkeit nach Typen wie Krassimir Balakov, Alexander Hleb oder Zvonimir Soldo, die in der Seuchensaison 2000/2001 im Kampf gegen den Abstieg einer jungen Mannschaft den Schuss von Halt, Klasse, Inspiration und manchmal auch Genialität gaben, der die Hoffnung auf Rettung trug. Bis sich am zweitletzten Spieltag in der 90. Minute beim 1:0 gegen den FCSchalke 04 die Spannung entlud. Balakovs Linksschuss war die Befreiung.

Das Team, das zehn Jahre später gegen den Abstieg kämpft, scheint aber nicht in der Lage, die Selbsterhaltungstriebe dauerhaft zu aktivieren. Als wäre es eine eherne Regel, folgen lichten Momenten Phasen unerträglicher Lethargie. Die Funken der Leidenschaft, Treibmittel für Selbstüberwindung und große Kämpfe, springen nicht aufs Publikum über. Und wer in dieser Elf der Namenlosen sollte sich am Ende das Herz nehmen, um den entscheidenden Hieb zu setzen? Wenn diesen VfB noch etwas retten kann, dann Konkurrenten, die noch schwächer sind als er selbst.

"Wir liegen am Boden, aber wir müssen wieder aufstehen", sagt Bruno Labbadia und klingt dabei nach dem Student, der hofft, seine Rostlaube irgendwie noch einmal durch den Tüv zu kriegen. Dabei sind durchs löchrige Bodenblech die Abgründe der zweiten Liga längst zu erkennen. Die Fußball-Weisen in der Chefetage täten deshalb gut daran, sich auf den schlimmsten aller Fälle vorzubereiten. Hauptsponsor Eduardo Garcia hat es schon getan. Nach dem 1:4 gegen den Club war sein Gesicht angeblich so weiß wie das Trikot des VfB. Dass auf dem roten Brustring für fünfeinhalb Millionen Euro seit dieser Saison das "Gazi" seiner Firma leuchtet, raubt ihm den Nerv. Der Schriftzug wäre unumkehrbar mit dem zweiten Abstieg nach 1975 verbunden.

Quelle: stuttgarter-nachrichten.de

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