Christian Gross steht mit dem Rücken zur Wand - aber nur im Presseraum der Rhein-Neckar-Arena, wo der Trainer nach dem 1:1 gegen Hoffenheim noch kurz über die vergangenen Monate spricht. Da hat der VfB Stuttgart eine imponierende Aufholjagd hingelegt, die den Club vom 16. Tabellenplatz im Dezember bis auf Rang sechs im Endklassement führte - und damit in die Europa League.
Gross richtet Blick in die Zukunft
"Das war einer meiner härtesten Jobs", sagt Gross, der die Mannschaft auf dem Tiefpunkt übernommen hat. Der Kraftakt wäre ohne ihn unmöglich gewesen, doch über sich redet Gross nicht. Er bedankt sich bei seinem Team und richtet dann den Blick in die Zukunft. Denn nach der Saison ist für ihn vor der Saison - und nach der Europa League kommt die Champions League? "Ich bin ein sehr zielorientierter Mensch", sagt er.
Und ein sehr gewissenhafter dazu, was sich auch daran zeigt, dass er bereits mit Nachdruck an den Vorbereitungen für die nächste Runde arbeitet. Da trifft es sich gut, dass das samstägliche Bild aus dem Presseraum nur im wörtlichen Sinn gilt. In der übertragenen Bedeutung haben Gross und der VfB den Rücken frei, nachdem die Gefahr gebannt ist, dass der Coach abspringt. Gross wurde in der vergangenen Woche vom VfL Wolfsburg und vom Hamburger SV umworben (die StZ berichtete).
Nicht ausgeschlossen schien, dass sich der VfB schon wieder auf die Suche nach einem Trainer machen muss. "Da ist nichts dran", sagt Gross in der Rhein-Neckar-Arena jedoch. Das ist ein Bekenntnis für Stuttgart, wo er die Mannschaft weiterentwickeln will. Damit hat der VfB seine wichtigste Baustelle geschlossen und die wichtigste Personalie unter Dach und Fach.
Die zweitwichtigste ist Serdar Tasci. Zwar läuft dessen Vertrag noch bis 2014, was nichts daran ändert, dass der Nationalverteidiger nun ganz konkret ins Visier zweier italienischer Spitzenvereine geraten ist. Die Vertreter von Juventus Turin und des AC Mailand sind am Samstag sogar extra nach Sinsheim gefahren, um Tasci in der Partie gegen Hoffenheim noch mal zu beobachten.
Was ist der nächste Schritt?
Die Eindrücke dürften positiv ausgefallen sein - und fest steht auch, dass Tasci eine Vertragsklausel besitzt, die ihm einen sofortigen Wechsel ermöglichen würde. Die dafür schriftlich verankerte Ablösesumme soll in diesem Sommer 20 Millionen Euro betragen. Als Nachfolger hätte der VfB auch Pape Diakhaté (25) auf der Liste, der momentan in St. Etienne spielt. Die Entscheidung bei Tasci wird jedoch erst im Juli und somit nach der WM fallen, auf die er sich konzentriert.
Insgesamt nehmen acht Profis aus dem Stuttgarter Kader an dem Turnier in Südafrika teil - mehr stellt aus der Bundesliga nur der FC Bayern ab. Zudem ist der VfB auf internationaler Ebene mittlerweile ein Dauergast. Das belegt den guten Weg, auf dem sich der Club befindet. Die Frage lautet nur: was ist der nächste Schritt?
Jens Lehmann, Alexander Hleb, Ricardo Osorio und Roberto Hilbert verlassen den Verein - wohl zusammen mit Martin Lanig (Köln?) und Khalid Boulahrouz. "Wir verlieren erfahrene Leute", sagt Gross. Im Gegenzug wurden Christian Gentner (Wolfsburg) und Georg Niedermeier (FC Bayern) verpflichtet. Dazu kommen der zuletzt an Kaiserslautern ausgeliehene Georges Mandjeck sowie der Torwart Marc Ziegler (Dortmund) und Martin Harnik (Fortuna Düsseldorf). Diese Verpflichtungen sollen bald auch offiziell verkündet werden. Aber damit sind die Transfertätigkeiten nicht abgeschlossen.
Gross wünscht sich auf jeden Fall noch zwei Spieler für die Außenpositionen im Mittelfeld - und daneben möchte er noch etwas: "Es muss eine klare Zielvorgabe des Vereins geben - und danach sehen wir weiter", sagt er. Soll heißen: von dieser Ansage hängt dann die Einkaufspolitik ab.
VfB will auf die Jugend bauen
Immerhin weiß Gross bereits, dass der VfB seine Linie grundsätzlich beibehalten und verstärkt auf die eigene Jugend bauen will. Seit einiger Zeit wird diese Strategie allerdings nicht mehr so erfolgreich umgesetzt. Serdar Tasci und Sami Khedira sind aktuell die Letzten, die den Sprung aus der Nachwuchsabteilung schafften und Stammkräfte in der Bundesliga wurden - und das war in der Meistersaison 2006/2007.
Diese Durststrecke soll nun der Torhüter Sven Ulreich beenden, der die Chance dazu erhält. Darauf hoffen auch Sebastian Rudy und Patrick Funk, während Julian Schieber ausgeliehen wird. "Die Mannschaft bekommt ein anderes Gesicht", sagt Gross.
Ein anderes Konzept gibt es auch. Demnach sollen in der Vorbereitung neue trainingsmethodische Reize gesetzt werden, um einen Fehlstart wie in den vergangenen Jahren zu vermeiden. Weiter ist geplant, die Neuzugänge früher als zuletzt präsentieren zu können, damit sich die Mannschaft finden und einspielen kann, bevor es ernst wird. Einfach wird das nicht, gerade in einem WM-Jahr, in dem der Markt erfahrungsgemäß erst spät in Bewegung kommt. "Wir haben eine sehr intensive Zwischensaison vor uns", sagt Gross nach dem Ende der eigentlichen Saison dann noch.
Quelle: stuttgarter-zeitung.de
Montag, 10. Mai 2010
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