Freitag, 19. März 2010

Barca rückt die Maßstäbe zurecht

Es ist verräterisch, wenn ein Trainer zu solchen Erklärungen greifen muss. Seine Mannschaft habe die ersten zehn Minuten ordentlich gespielt, sagt Christian Gross, der Coach des VfB Stuttgart. Zehn Minuten! Ordentlich gespielt! In einer entscheidenden Partie der Champions League! Nüchtern betrachtet, dokumentiert die Aussage des VfB-Trainers aber nur, dass der Fußball-Bundesligist die restlichen 80 Minuten gegen den FC Barcelona absolut chancenlos war.

Genau genommen waren es sogar zwölf Minuten, ehe das große Unheil in Gestalt eines kleinen Ausnahmekönners über die Stuttgarter hereinbrach. Lionel Messi dribbelte unwiderstehlich, Lionel Messi passte fein, Lionel Messi traf doppelt.

Der Barça-Anhang hüpfte vor Begeisterung - während die hochfliegenden Hoffnungen des VfB auf dem harten Boden der Tatsachen zerschellten. Letztlich war die 0:4-Niederlage der Ausdruck von Hilflosigkeit auf mehreren Ebenen. Den Gästen fehlten die taktischen und spieltechnischen Mittel, sie traten ohne den nötigen Mumm an und blieben so ohne jede Möglichkeit vor dem Tor des Gegners.

Im Rückspiel hat nichts funktioniert

Es war dann doch nur eine bloße Illusion, dass der VfB der zurzeit weltbesten Mannschaft im Achtelfinale der europäischen Königsklasse womöglich gewachsen sein könnte. Die Begegnung im Stadion Camp Nou belegt, dass die Stuttgarter keine Elf besitzen, die über einen Abend hinaus auf höchstem Niveau Großes leisten kann. Im Hinspiel beim 1:1 hat es in einem starken Kollektiv funktioniert, im Rückspiel nicht. Gar nicht.

Was vergleichbar ist mit dem FC Bayern vor einem Jahr. Der deutsche Rekordmeister aus München erreichte damals im Viertelfinale die gleichen Ergebnisse, nur eben in umgekehrter Reihenfolge. Identisch fällt dennoch das Fazit der beiden Duelle aus: Der FC Barcelona bewegt sich fußballerisch auf einer viel höheren Stufe. Schwäbisches und bayerisches Mittelmaß reichen nicht, um zu den europäischen Spitzenclubs aufzuschließen.

Trotz der enttäuschten Gesichter bei den VfB-Verantwortlichen fiel das Urteil aber milde aus. "Wir dürfen durch ein schlechtes Spiel nicht das gesamte Auftreten im Europapokal infrage stellen", sagt der Manager Horst Heldt. Das ausgegebene Ziel sei ja erreicht worden. Die Gruppenphase wurde überstanden - mehr war nach der Achtelfinalauslosung nicht zu erwarten. Aber auch nicht weniger, denn die unspektakulären Gegner vor der ersten K.-o.-Runde (FC Sevilla, Glasgow Rangers, FC Unirea Urziceni) begünstigten das Weiterkommen als Gruppenzweiter.

Es bleibt nur eines: Ernüchterung

Emotional bleibt nach dem Ausscheiden jedoch nicht viel mehr hängen als: Ernüchterung. Der VfB hat den ersten guten Eindruck gegen den Titelverteidiger selbst wieder zerstört und so den Verdacht genährt, dass die Hinspielleistung ein angenehmer Ausschlag nach oben in der Skala war - das Team sich aber wieder im leichten Abwärtstrend befindet.

"Die Vorstellung von vor drei Wochen muss aber unser Maßstab sein", sagt Christian Gross. Er weiß sehr wohl, dass ein Spannungsabfall droht, denn der VfB muss nun Trost suchen, wo es kaum noch Trost gibt - in der Bundesliga. Acht Spiele bleiben, um sich doch noch für einen internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Acht Spiele noch, um die schwierige Saison zu einem versöhnlichen Ende zu bringen. Möglichst mit der Qualifikation für die eigentlich ungeliebte Europa League.

Am Samstag gegen Hannover 96 geht der Endspurt los. Und der Trainer appelliert: "Die Spieler müssen den Stolz haben, nach dieser Pleite zurückzukommen." Es dürfte jedoch kaum eine Frage der Ehre werden, vielmehr eine Frage der Mannschaftsführung. Schafft es Gross innerhalb weniger Monate ein zweites Mal, mit dem VfB eine Erfolgsserie hinzulegen?

Die Stuttgarter sehnen sich nach mehr Glanz

Die hohe Kunst der Motivation liegt darin, den Profis zu vermitteln, dass die nächsten Alltagsaufgaben ab sofort Erlebnischarakter haben müssen. Hannover statt Barcelona, Mike Hanke statt Lionel Messi. Gelingt dies nicht, dann wird sich die Sehnsucht der Stuttgarter nach mehr Glanz und Größe auf der europäischen Bühne länger nicht mehr erfüllen.

Seit 1998 wartet der VfB darauf, international wieder einmal in ein Viertelfinale vorzustoßen. Und der Verweis, dass sich die Stuttgarter mit ihrem Ausscheiden diesmal in edler Gesellschaft befinden, hilft nicht wirklich weiter. Real Madrid, der FC Chelsea und der AC Mailand sind Stammgäste in der Champions League. Der VfB Stuttgart nicht.

Quelle: stuttgarter-zeitung.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen